No. 6 - XOXO
Über “Gossip Girl”, neu und alt, über das Genre der Teenieserien, und darüber, was die Veränderung von Archetypen über den gesellschaftlichen Wandel aussagt.
Wer zufällig hier ist, aber weiterhin mit Klatsch und Tratsch versorgt werden will, kann sein Höhrrohr hier installieren:
Irgendwann, im ewigen zweiten Lockdown, erwischte ich mich dabei, wie ich anfing, alte Serien noch mal zu schauen. „Comfort Binge“ nennt man das, und laut FAZ ist es ein Phänomen. Es war also nur eine Frage der Zeit, bis Blair und Chuck, Serena und Dan wieder meinen Bildschirm bevölkerten. „Gossip Girl“ habe ich schon mit Anfang Zwanzig heiß geliebt, und glücklicherweise habe ich die Angewohnheit, den Plot dieser Serien sofort zu vergessen. Und ja, die sechs Staffeln noch einmal zu sehen, war seltsam tröstlich. Jetzt, im Juli, kam die Neuauflage. Guter Zeitpunkt also, um den Veränderungen der letzten zehn Jahre auf den Grund zu gehen. Das habe ich für die „Berliner Zeitung“ getan, und Konsum-Leser*innen können den Text hier in voller Länge lesen. Naturgemäß ist der Artikel länger, als ich mir das bei diesem Newsletter normalerweise erlaube. Für alle, deren Aufmerksamkeitsspanne ich strapaziere, und alle anderen, die den Text schon in Print gelesen haben: Scrollen hilft! Wie immer gibt es noch ein Artist Feature und Konsumempfehlungen.
Kaum ein Genre wird so innig geliebt wie das der Teenagerfilme und -serien. Das liegt unter anderem daran, dass Menschen gemeinhin gern Geschichten über sich selbst hören – und der identifikatorische Reiz des Teeniegenres ist universell. Junge Menschen können sich spiegeln und ältere Menschen können wehmütig an ihre eigene Jugend denken. Gleichzeitig geben diese Geschichten das prophetische Versprechen, etwas über die Lebenswelt einer neuen Generation zu erzählen, und somit über eine Zukunft, die schon Gegenwart ist, wenn man nur hinsieht. Zeitgeist, baby.
Es kann nicht schaden, dass Geschichten über Teenager immer derselben Formel folgen, dass die Hierarchien von höfischer Starrheit sind, dass immer dieselben Archetype auftauchen: die Queen Bee, ihre Gefolgschaft, ihre beste Freundin; der Underdog; der schöne und beliebte Jüngling, oft in Personalunion mit dem Bad Boy; der Mob.
Die Story und die Charaktere sind also Konstanten, das einzige, was sich ändert, ist die Zeit. Was in anderen Genres manchmal Zufall oder Dekoration ist – die Mode, die Geisteshaltung, die Verrohung der Protagonist*innen – wird hier auf einmal bedeutungsschwanger, denn es wird zum Signifikant für den Wandel der Zeit.
„Gossip Girl“ ist ein Klassiker des Genres. Von der Erstausstrahlung im September 2007 bis zum Finale 2012 konnte man den Jugendlichen der Upper East Side dabei zusehen, wie sie Intrigen schmiedeten, um den Thron kämpften, Affären anfingen, und sich insgesamt so verhielten, als seien sie Angehörige des französischen Hochadels im 18. Jahrhundert. Verantwortlich dafür, Zwietracht zu sähen, war eine anonyme Briefeschreiberin, ebenfalls ein beliebtes Motiv in Adelsgeschichten.
Natürlich schrieb Gossip Girl keine Briefe, sondern einen Blog, denn es waren die späten Nullerjahre, und Blogs waren der heißeste Scheiß. In jeder Folge trafen die Jugendlichen am Ende bei einer absurd dekadenten Veranstaltung aufeinander, atemlose Schnitte zeigten glitzernde Outfits, hedonistische Buffets, glänzende Autos, und alle anderen Symbole des Reichtums. Aber der anhaltende Erfolg („The Greatest Show of Our Time“ titelte das New York Magazine nur halb ironisch) begründete sich nicht nur in der Tatsache, dass der Appetit für eskapistische Geschichten über die düsteren Machenschaften der Elite nach der Wirtschaftskrise 2008 groß war. Die Dialoge waren witzig und voller Kalauer, die Charaktere komplett entwickelt, die Dramaturgie schuf innerhalb der Formel echte Überraschungen.
Nun bekommt „Gossip Girl“ ein Reboot. Am 8. Juli startete die Neuauflage, die in vielerlei Hinsicht kein Remake ist, sondern versucht, die Geschichte weiter zu erzählen. Im Universum der Serie sind zehn Jahre vergangen, die fiktive Eliteschule „Constance Billard“ wird von anderen Schüler*innen besucht, aber ab und zu wird noch von den ursprünglichen Protagonist*innen gesprochen – im Serienuniversum sind sie jetzt erfolgreiche Erwachsene, die sich nicht mehr um Highschooldramen kümmern müssen. Sie gehören derselben Generation an wie die Lehrer*innen an der Schule. In einer wenig glaubwürdigen narrativen Volte werden die Lehrer*innen selbst zu Gossip Girl, verbreiten über Instagram Gerüchte und verraten die Geheimnisse ihrer Schüler*innen. All das angeblich, um die verwöhnten Bratzen davon abzuhalten, ihre unterbezahlten Lehrer*innen schlecht zu behandeln.
Die Frage nach dem Wandel der Zeit haben sich offensichtlich auch die Macher*innen der Serie gestellt. Da die meisten Serien über Teenager aber von Menschen gemacht werden, die keine Teenager mehr sind (mit ein paar wenigen Ausnahmen: „Girls“ von Lena Dunham, wenn man großzügig sein möchte; oder, vor kurzem, „Genera+ion“, das von der siebzehnjährigen Zelda Barnz geschrieben wurde), wird diese Frage oft aus der Sicht der vorangegangenen Generation beantwortet. Vielleicht rührt daher der Fokus, den das neue „Gossip Girl“ auf die Lehrer*innen legt. Die Anführerin der klatschsüchtigen Lehrer*innen wird von Tavi Gavinson gespielt, die schon mit zwölf einen erfolgreichen Fashionblog betrieb, und mit fünfzehn das Onlinemagazin „Rookie“ gründete. Als Proto-Influencerin war Gavinson eine Wegbegleiterin der Millennials.
Das neue „Gossip Girl“ ist relativ pessimistisch, was Technologie angeht. Julien, die Queen Bee der Schule, ist gleichzeitig Instagram-Influencerin und muss täglich Millionen von Followers mit neuem Content füttern. Ein großer Teil ihres inneren Konflikts besteht darin, sich trotz des ständigen Drucks ein authentisches Selbst zu bewahren. Die Protagonist*innen der Originalversion hatten weniger Zweifel – Technologie wurde hauptsächlich als Mittel zum Zweck gesehen. Dafür ist die Neuauflage realistischer in ihrer Darstellung der medialen Lebenswelt. Wo damals noch „gebingt“ wurde, obwohl auch 2007 schon kein Mensch „Bing“ benutzt hat, benutzen die Protagonist*innen jetzt alle digitalen Dienste genau so, wie sie vermutlich Teenager im Moment benutzen (wobei, müssten die Kids nicht auf TikTok rumhängen?).
Das Problem ist: Ein großer Teil von dem, was an der alten Serie so viel Spaß gemacht hat, war die wenig plausible Fantasiewelt, in der die Jugendlichen lebten. Es ist ein ungeschriebenes Gesetz des Genres, dass Schauspieler, die Fünfzehnjährige spielen, so aussehen müssen, als seien sie fünfunddreißig. „Gossip Girl“ ging noch weiter, und stattete die Figuren mit einem Lebensstil aus, den die jugendlichen Zuschauer*innen vielleicht ersehnten, in Wirklichkeit jedoch niemals erreichen konnten: Sie gingen in Hotelbars und Clubs, machten Businessdeals, flogen um die Welt und blickten schon mit sechzehn auf eine lange, kokshaltige Partykarriere zurück. Dagegen wirken die Protagonist*innen der neuen Version regelrecht zahm.
Die auffälligsten Unterschiede zwischen den beiden Serien sind allerdings die, die sich in weitreichenderen, gesellschaftlichen Veränderungen begründen. Leute zu mobben, ist nicht mehr cool. Zynisch zu sein, ist nicht mehr cool. Stattdessen ist das Zeitalter der Kindness angebrochen. Die deutsche Übersetzung des Wortes, „Nettigkeit“, verbirgt den hohen moralischen Anspruch, der mit Kindness verbunden ist. Obie, der schöne Jüngling, der den Thron der neuen Serie innehat, ist nicht nur nett, er versucht, ein guter Mensch zu sein. Er bringt sich ehrenamtlich in der Nachbarschaft ein, ist selbstverständlich Feminist und hält sich von Social Media fern. Selbst Julien, die Königin, wird eher gegen ihren Willen in die Intrigen hineingezogen, auch sie möchte gerne gut sein. Wenn das etwas über den Wandel der Zeit aussagt, dann könnte es einen optimistisch stimmen. Die Serie selbst bringt es in eine etwas unangenehme Position, schließlich lebt die Story vom Drama, und das ist ohne einen überzeugenden Bösewicht schwierig zu produzieren. Dieses Problem haben die Macher*innen gelöst, indem sie die Gemeinheiten an eine amorphe, anonyme Internetmasse ausgelagert haben. Blair und Chuck, das originale Gegenstück zu Obie und Julien, waren skrupellos und führten ihre düsteren Pläne zielgerichtet durch. Und natürlich ist es befriedigender, Menschen, die obszön reich sind, bei düsteren Machenschaften zuzuschauen, als dabei, wie sie ständig ihre Privilegien checken.
Ein weiterer Wandel, der sich durch die neue Serie zieht, hat mit Geschlechterverhältnissen und Repräsentation zu tun. Der Archetyp der Queen Bee hat sich im Fernsehen langsam, aber sicher verändert. Das sexistische Klischee der Frau, die andere Frauen niedermacht, Ränke schmiedet, und insgesamt eine „Bitch“ sein muss, um die Schule zu regieren, wird immer seltener bedient. Julien ist komplexer und selbstkritischer als dieses Klischee, und manchmal darf sie sogar solidarisch mit anderen Frauen sein. Und Zoya, ihre Schwester, macht ihr den Thron streitig, indem sie bodenständig, nett und normal ist.
Ein weiterer Fortschritt in Hinblick auf Geschlechterverhältnisse in den letzten zehn Jahren war die MeToo-Bewegung, und auch diesen Fortschritt sieht man im Vergleich der beiden Serien. Schon im Piloten des Originals gibt es eine Szene, in der Chuck eine viel jüngere Schülerin sexuell belästigt. Das führt aber nicht dazu, dass er gecancelt wird – im Gegenteil. Chuck wird, im Laufe der Serie, als etwas düsterer, aber letztlich liebenswerter Mann mit Sexappeal zum Publikumsliebling. Heute wäre das, dem Feminismus sei Dank, undenkbar.
Das hält die neue Serie nicht davon ab, die angestaubte Geschichte des Lehrers, der mit Schülern schläft, noch einmal zu erzählen. Rafa, ein gutaussehender Lehrer, verführt Max, eine der glamouröseren Hauptfiguren. Dass es sich hier um Machtmissbrauch, und nicht etwa um eine romantische Geschichte handelt, wird nicht sofort klar – in dieser Hinsicht ist der Fortschritt also noch nicht angekommen.
Wo die Serie in den frühen Nullerjahren unerträglich heterosexuell war, gibt es nun immerhin besagten Max, der sich auf Grindr und in fancy Badehäusern rumtreibt, und Aki, der sich an seine Bisexualität herantastet. Repräsentation allein macht aber noch keine politische Veränderung aus, und so ist es eines der großen Versäumnisse der Serie, dass die zwei Hauptfiguren Zoya und Julien zwar Schwarz sind, aber nie auch nur im Ansatz darüber gesprochen wird, was das für sie bedeutet.
Filme und Serien über Teenager stellen sich eine archaische Gesellschaft vor, eine, in der die Stärksten gewinnen, Gemeinschaft ein Synonym für Exklusivität ist, und die Außenseiter die Regeln lernen müssen, um dazuzugehören. Es ist faszinierend, zu sehen, was sich trotz und innerhalb dieser vorgegebenen Strukturen verändert. Noch spannender wäre aber, zu sehen, was passiert, wenn diese narrativen Strukturen selbst den Veränderungen anheim fallen. Vielleicht in zehn Jahren dann, bei der nächsten Version von „Gossip Girl.“
Jovana Reisinger
Jovana Reisinger weiß, was es bedeutet, narrative Strukturen und Klischees zu nutzen, um etwas Neues zu schaffen. Die enorm produktive Künstlerin, Filmemacherin und Schriftstellerin hat eine eigensinnige Ästhetik. Ihre Arbeiten bewegen sich irgendwo zwischen Kitsch und Camp, Pathos und Unterdruck. In „Wendy“ (2019) begegnen wir einem Mann, der im Wald herumirrt, und mit merkwürdig gleichgültiger Stimme immer wieder um Hilfe ruft. Er wird von einer stolzen Reiterin aufgesammelt und gerettet. Jovana Reisinger hat die uralte Geschichte der „damsel in distress“ und ihrem stolzen Ritter einfach umgedreht – und das auch noch mit Verweis auf die Zeitung für „Pferdemädchen“: „Wendy“. Am Ende des dreiminütigen Films sagt eine Stimme aus dem Off: „Der Film, der beweist, dass Feminismus auch Männer aus dem Patriarchat befreien wird. Nur jetzt, in ihrem Kino“ Ein Trailer ohne Film, ein Trailer, wie sie seit den frühen Neunzigern nicht mehr gemacht werden
In „Die Klaffende Wunde“ (2020) wohnen wir einem nachbarschaftlichen Treffen bei: Irgendwo am Starnberger See sitzt Petra in einem Liegestuhl, ihre Freundin Martha stattet ihr einen Besuch ab. Die kreischenden Farben der Kostüme stehen in einem merkwürdigen Kontrast zu der depressiven Stimmung, die hier herrscht. Martha berichtet von der gemeinsamen Freundin Maria, die „nichts mehr will“, macht die Depression also explizit, während Petra den Überdruss personifiziert. „Nichts wollen klingt doch fabelhaft,“ entgegnet sie schläfrig. Schon bald fällt der titelgebende Schlüsselsatz: „Frausein an sich ist ja schon eine einzige Wunde,“ stellt Martha fest. Die Dialoge haben alle diesen lakonischen Witz, ein Effekt, der sich noch verstärkt, wenn die geniale Julia Riedler sie mit einem leichten, bayerischen Akzent vor sich hin säuselt. Natürlich spielt Jovana Reisinger in diesem Film mit dem (immer weiblichen) Klischee der reichen, gelangweilten Hausfrau, und setzt diesem Stereotyp die Abgründe echter Depression entgegen. Das Milieu, das Lokalkolorit und die Bildsprache tragen dazu bei, dass man das Gefühl hat, eine feministische Version von „Kir Royal“ zu sehen.
Und Jovana Reisinger kann auch schreiben: Hier hat David Hugendick eine gewohnt kluge Rezension über ihr neues Buch „Spitzenreiterinnen“ geschrieben.
Zu den wenigen politisch sinnvollen Instagram-Accounts gehört der von Moshtari Hilal, gerade im Moment postet sie viel zur aktuellen Lage in Afghanistan. Hilal ist Künstlerin, mit einem Fokus auf Zeichnungen, Porträts und Familienarchive. Sie ist Mitbegründerin des internationalen Kunstkollektivs AVAH (Afghan Visual Arts and History) und hat mit ihrer Schwester, der Designerin Zuhra Hilal Studio Hilal gegründet. Dort kann man wunderschöne, handbemalte Seidentücher erwerben, die so etwas wie „tragbare Kunst“ sind. Aktivismus und Informationsarbeit auf Social Media sind unbezahlte politische Arbeit – wer die Seidentücher von Studio Hilal kauft, hat ein limitiertes Kunstwerk zuhause, und unterstützt gleichzeitig diese Arbeit.
Die Sommerhits 2021 kommen allesamt von Fuffifufzich, der schlimmste Ohrwurm heißt „Heartbreakerei“ und geht so: „Hallo 110 ist da die Po-polizei, ich möchte Anzeige erstatten wegen Heartbreakerei“. Ansonsten gibt es auch noch das elegische „Ciao amore mio“, und, zum Tanzen „Schick Deluxe“. Alles bisschen quatschig, alles ziemlich gut gemacht. Hinter der Kunstfigur steht die Schauspielerin Vanessa Loibl, die man unter anderem aus „Futur drei“, „O Beautiful Night“ (wurde hier auch schon empfohlen) und „Unsere Wunderbaren Jahre“ kennen könnte. Als wäre die Musik nicht fun genug, sind auch die Videos dazu noch kleine Kunstwerke.
William Kherbeks Romane sind halluzinante Meditationen über den zeitgenössischen, hyperkapitalistischen Zustand. Oft schreibt er aus der Perspektive von Militärs, Geheimdienstler*innen, Influencer*innen, Verschwörungstheoretiker*innen, Consultants und anderen düsteren Protagonist*innen der Gegenwart. Er beherrscht diese Art der Rollenprosa so perfekt, dass es unerträglich bis unerträglich komisch ist. Jetzt hat er eine Kurzgeschichtensammlung mit dem Titel „Technofeudalism Rising“ herausgebracht, die man umsonst herunterladen kann. Es lohnt sich.